BGH I ZR 133/02 vom 3. März 2005 – Atlanta

(UrhG § 17 Abs. 2; BGB § 1006 Abs. 1)

Die Darlegungs- und Beweislast für den Eintritt der Erschöpfung nach § 17 Abs. 2 UrhG trifft denjenigen, der sich darauf beruft. Der Nachweis, ob eine Übereignung stattgefunden hat, die in der Regel einen Veräußerungstatbestand i.S. des § 17 Abs. 2 UrhG darstellt, kann gegebenenfalls durch die Vermutung des § 1006 BGB erleichtert werden.

BGH, Urt v. 3. März 2005 – I ZR 133/02 – OLG Karlsruhe, LG Mannheim

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Bergmann

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 10. April 2002 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Herausgabe gerichtete Klage hinsichtlich der Fotos „Atlanta I“, 1991, handsigniert, „Atlanta IV“, 1991, handsigniert (nicht als Plakat), „Räderwerk I“, 1989, handsigniert, „Sylvie mit Kette“, 1991, handsigniert, „Patrizia“, 1989, handsigniert, abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin des 1997 verstorbenen Fotografen G. B. . Der Beklagte stellte in seiner Galerie Fotografien des G. -B. aus.

Die Klägerin hat Urheberrechte an einer Anzahl von Fotografien des G. B. geltend gemacht, die sich im Besitz des Beklagten befinden. Dazu hat sie vorgetragen, dem Beklagten seien die Fotos lediglich als Kommissionsware für zwei Ausstellungen in Mannheim und Frankfurt überlassen worden.

Die Klägerin hat den Beklagten – soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung – auf Unterlassung der Verbreitung von elf Fotos sowie auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Herausgabe in Anspruch genommen.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, er sei Eigentümer der in seinem Besitz befindlichen Fotos.

Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, die nachfolgenden Fotos des Künstlers G. B. feilzuhalten oder in den Verkehr zu bringen:

„Atlanta II“, 1991, handsigniert, „Atlanta IV“, 1991, handsigniert, nicht als Plakat, „Atlanta VI“, 1990, handsigniert, „Suzanna Domina“, 1990 handsigniert, „Räderwerk I“, 1989, handsigniert, „Sylvie mit Kette“, 1991, handsigniert, „Patrizia Domina“, 1989, handsigniert, nicht als Großfoto, „Atlanta I“, 1991, handsigniert, „Tanja mit Schleier“, 1988, „Atlanta I“, 1991, „Patrizia“, 1989, handsigniert.

Weiterhin hat das Landgericht den Beklagten bezogen auf diese Fotografien zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie zur Herausgabe der in seinem Besitz befindlichen Fotos verurteilt sowie eine Schadensersatzpflicht des Beklagten festgestellt.

Auf die gegen die Verurteilung gerichtete Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen.

Mit der (vom Senat zugelassenen) Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat die vom Landgericht zuerkannten Ansprüche der Klägerin verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Hinsichtlich der im Besitz des Beklagten befindlichen Fotos greife zu dessen Gunsten die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 BGB ein. Auf der Grundlage dieser Vermutung, die die Klägerin nicht widerlegt habe, sei der Beklagte gemäß § 17 Abs. 2 UrhG zur Verbreitung und Verwertung der in seinem Besitz befindlichen Werke berechtigt. Zwischen den Parteien sei unstreitig, daß der Beklagte Besitzer der in Rede stehenden Fotos sei, die dem Fotografen G. B. nicht abhanden gekommen seien. Bei dieser Sachlage obliege der Klägerin der Nachweis, daß der Beklagte nicht Eigentümer der Werke geworden sei. Dies gelte auch für den Nachweis, daß der Beklagte die streitgegenständlichen Werke nicht zum Eigenbesitz erworben habe. Den Vortrag der Klägerin, der Beklagte habe die im einzelnen bezeichneten Bilder lediglich als Kommissionsware für zwei Ausstellungen erhalten, habe der Beklagte ausdrücklich bestritten. Er habe behauptet, die ihm anläßlich der Ausstellungen überlassenen Bilder sämtlich zurückgegeben zu haben. Außerhalb der Ausstellungen habe er Bilder auf Kommissionsbasis nicht erhalten. Die von der Klägerin beanspruchten Bilder habe er vom Künstler gekauft oder geschenkt bekommen.

Die Klägerin habe den Beweis für ihre gegenteilige Behauptung, der Beklagte habe an den Bildern keinen Eigenbesitz erlangt, nicht zu führen vermocht. Die hierzu vom Landgericht vernommenen Zeugen hätten den Vortrag der Klägerin nicht bestätigen können. Der Beklagte gelte daher gemäß § 1006 BGB als Eigentümer. Die Eigentumsvermutung erstrecke sich auch darauf, daß der Beklagte die streitgegenständlichen Bilder von G. B. zum Eigenbesitz erhalten habe. Mit dessen Zustimmung seien die Bilder deshalb auch in den Verkehr gebracht worden (§ 17 Abs. 2 UrhG).

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben nur zum Teil Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit die auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Feststellung der Schadensersatzverpflichtung und Herausgabe gerichtete Klage wegen der Fotos „Atlanta I“, 1991, handsigniert, „Atlanta IV“, 1991, handsigniert (nicht als Plakat), „Räderwerk I“, 1989, handsigniert, „Sylvie mit Kette“, 1991, handsigniert, und „Patrizia“, 1989, handsigniert, abgewiesen worden ist. Die weitergehende Revision der Klägerin ist dagegen unbegründet.

1. a) Die Klägerin als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemannes G. B. (nachfolgend auch Erblasser) hat gegen den Beklagten keinen Unterlassungsanspruch wegen einer urheberrechtswidrigen Verbreitung der sechs Fotos „Atlanta I“ (1991, nicht handsigniert), „II“ und „VI“, „Suzanna Domina“ und „Patrizia Domina“ und „Tanja mit Schleier“ nach § 97 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1 i.V. mit § 28 Abs. 1 UrhG, § 1922 Abs. 1 BGB. Das urheberrechtliche Verbreitungsrecht an diesen Fotos ist nach § 17 Abs. 2 UrhG erschöpft. Nach der Vorschrift ist die Weiterverbreitung geschützter Originale oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Ausnahme der Vermietung zulässig, wenn diese mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in den Verkehr gebracht worden sind.

aa) Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei zu der Annahme gelangt, die in Rede stehenden sechs Fotos seien mit Zustimmung des Erblassers im Wege der Veräußerung in den Verkehr gebracht worden. Der Begriff der Veräußerung i.S. des § 17 Abs. 2 UrhG erfaßt in der Regel jede Übereignung und Entäußerung des Eigentums an dem Werkstück durch den Berechtigten (vgl. BGHZ 129, 66, 73 – Mauer-Bilder; Wandtke/Bullinger/Heerma, Urheberrecht, § 17 Rdn. 13). Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Beklagte die sechs Fotografien nur für zwei Ausstellungen bekommen hat, ohne daß sie ihm zu Eigentum übertragen worden sind (so der Vortrag der Klägerin), oder ob er sie vom Erblasser gekauft oder geschenkt erhalten hat und sie ihm übereignet worden sind (so die Darstellung des Beklagten). Ist die Behauptung der Klägerin zutreffend, ist eine Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 2 UrhG nicht gegeben, weil es an einer Übereignung oder Entäußerung des Eigentums fehlt, während die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 UrhG nach dem Vortrag des Beklagten erfüllt sind.

bb) Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 UrhG treffen denjenigen, der sich auf die Erschöpfung des Verbreitungsrechts beruft (vgl. BGH, Urt. v. 21.3.1985 – I ZR 166/82, GRUR 1985, 924, 926 – Schallplattenimport II; Urt. v. 28.10.1987 – I ZR 164/85, GRUR 1988, 373, 375 – Schallplattenimport III; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 2. Aufl., § 17 Rdn. 45; zu § 24 Abs. 1 MarkenG vgl. auch: BGH, Urt. v. 23.10.2003 – I ZR 193/97, GRUR 2004, 156, 157 f. = WRP 2004, 243 – stüssy II). Im Streitfall muß der Beklagte – die Aufgabe der tatsächlichen Sachherrschaft im Inland durch den Urheber steht zwischen den Parteien nicht in Streit – daher darlegen und beweisen, daß die sechs Fotografien vom Erblasser an ihn übereignet worden sind. Dabei hat das Berufungsgericht zu Recht zugunsten des Beklagten die Vermutung des § 1006 BGB angewandt. Die Voraussetzungen, die Darlegung und der Beweis der Übereignung folgen im Zivilrecht und im Urheberrecht keinen unterschiedlichen Grundsätzen. Auch aus der Zweckübertragungstheorie läßt sich kein für alle Sachverhaltsgestaltungen allgemein gültiger Rechtssatz herleiten, daß ein Urheber sein Werkstück, das er einem Dritten ausgehändigt hat, im Zweifel nicht zu Eigentum übertragen wollte.

Nach der Bestimmung des § 1006 Abs. 1 BGB wird vermutet, daß der Besitzer bei Erwerb seines Besitzes Eigenbesitz begründet und Eigentum erworben hat (vgl. BGH, Urt. v. 4.2.2002 – II ZR 37/00, NJW 2002, 2101; BGHZ 156, 310, 315 f.; vgl. auch OLG Nürnberg ZUM-RD 2003, 260, 266). An die Widerlegung der Vermutung dürfen keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden. Vielmehr kann die Vermutung durch den Nachweis einer entgegenstehenden Branchenübung oder durch die Begleitumstände des Besitzerwerbs widerlegt werden (MünchKomm.BGB/Medicus, 4. Aufl., § 1006 Rdn. 22 f.).

Den Besitz- und Eigentumserwerb an den sechs Fotografien hat der Beklagte behauptet. Soweit die Revision hiergegen geltend macht, der Beklagte habe nach seinem eigenen Vortrag an diesen Fotografien nur Fremdbesitz begründet, zeigt sie eine entsprechende Sachdarstellung des Beklagten zu keiner dieser sechs Fotografien auf. Dies gilt auch für die Fotos „Suzanna Domina“, „Patrizia Domina“ und „Tanja mit Schleier“, weil der Beklagte dazu behauptet hat, sie seien ihm noch vor den Ausstellungen in Frankfurt und Mannheim im Jahre 1991 übereignet worden. Den danach der Klägerin obliegenden Beweis, daß der Beklagte bei Besitzerwerb keinen Eigenbesitz begründet oder kein Eigentum erworben hat, hat sie nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts nicht geführt. Gegenteiliges macht die Revision auch nicht geltend.

b) Demzufolge sind auch der Antrag auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung und der Auskunfts- und Rechnungslegungsantrag wegen der sechs unter II 1 a bezeichneten Fotografien unbegründet, weil es infolge der Erschöpfung nach § 17 Abs. 2 UrhG an einer widerrechtlichen Verletzung des Verbreitungsrechts der Klägerin nach § 97 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1, § 28 Abs. 1 UrhG, § 1922 BGB fehlt.

c) Der Anspruch der Klägerin auf Herausgabe der sechs Fotografien nach §§ 985, 1922 BGB ist ebenfalls nicht gegeben. Die Klägerin hat die für den Beklagten streitende Vermutung des § 1006 Abs. 1 BGB nicht widerlegt (vgl. II 1 a bb).

2. Dagegen hat die Revision Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, daß die auf § 97 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1, § 28 Abs. 1 UrhG, §§ 985, 1922 BGB gestützte Klage vom Berufungsgericht auch hinsichtlich der übrigen fünf noch im Streit befindlichen Fotos abgewiesen worden ist.

a) Die Annahme des Berufungsgerichts, für den Beklagten streite auch hinsichtlich der Fotos „Atlanta I“, handsigniert und „Atlanta IV“, handsigniert, „Räderwerk I“ und „Sylvie mit Kette“ die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Vermutungswirkung der Bestimmung greift nicht durch, wenn der Besitzer bei Besitz-erwerb keinen Eigenbesitz, sondern nur Fremdbesitz erworben hat. In diesem Fall trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast, daß sich sein Fremdbesitz in Eigenbesitz verwandelt hat (vgl. BGHZ 73, 355, 361). Hinsichtlich der Fotos „Atlanta I und IV“, „Räderwerk I“ und „Sylvie mit Kette“ hat das Berufungsgericht – verfahrensfehlerhaft – den Vortrag des Beklagten außer acht gelassen, daß er diese Fotos vom Erblasser zur Anfertigung einer Heliogravüren-Edition erhalten hat. Dadurch hat der Beklagte zunächst nur Fremdbesitz begründet, der auch noch zu dem Zeitpunkt fortbestand, als sich die vier Fotografien in der lithographischen Anstalt befanden (§§ 868, 871 BGB). Soweit der Beklagte geltend macht, der Erblasser habe die Fotografien nach Rückkehr aus der lithographischen Anstalt bei ihm signiert und ihm schenkweise überlassen, ist er hierfür beweispflichtig. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat der Beklagte allein durch das Signieren der Fotografien durch den Erblasser seinen unmittelbaren Besitz auch nicht verloren und der Erblasser nicht unmittelbaren Besitz begründet. Wenn der Erblasser die im unmittelbaren Besitz des Beklagten befindlichen vier Fotografien diesem schenken wollte, fehlte es ersichtlich an einem nach außen erkennbaren Willen des Erblassers, für den Zeitpunkt des Signierens unmittelbaren Besitz zu begründen (vgl. zum Erfordernis des Besitzbegründungswillens: BGHZ 101, 186, 187), und auf seiten des Beklagten an einer Aufgabe seines Besitzes (§ 856 Abs. 1 BGB). Vielmehr dauerte der Fremdbesitz des Beklagten während des Vorgangs des Signierens fort, so daß er beweispflichtig für die Umwandlung seines Fremdbesitzes in Eigenbesitz und damit für die Übereignung der vier Fotografien durch den Erblasser und die daraus folgende Erschöpfung i.S. von § 17 Abs. 2 UrhG ist.

Dazu, ob dem Beklagten aufgrund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme dieser Beweis gelungen ist, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Eine Würdigung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme in der Revisionsinstanz ist ausgeschlossen.

b) In bezug auf das Bild „Patrizia“ (1989, handsigniert) greift zugunsten des Beklagten nach seinem zweitinstanzlichen Vortrag zwar die Vermutungswirkung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB ein. Danach will er das Bild 1991 verkauft und übereignet und am 15. Oktober 2000 von dem Erwerber zurückgenommen haben. Die Klägerin hat hierzu jedoch in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Vortrag des Beklagten behauptet, dieser habe das Bild die gesamte Zeit nach einer Ausstellung im Besitz gehabt und der Zeuge R. habe es am 21. September 2000 bei dem Beklagten gesehen. Gelingt der Klägerin dieser Nachweis, ist der Vortrag des Beklagten widerlegt, er habe am 15. Oktober 2000 Eigenbesitz an dem Bild begründet. Für diesen Fall wäre der Beklagte dafür beweispflichtig, daß er Eigentum an dem Bild erworben hat. Dem Beweisantritt der Klägerin zur Vernehmung des Zeugen R. wird das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsrechtszug nachzugehen haben.